Die entführte Tochter
von Erebos
1. Schwarzer Reiter
Die Sonne versank hinter den Bergen und tauchte die Welt in ein Zwielicht. Breda, der als ein einfacher Dorfschmied arbeitet, ist soeben mit dem Aufräumen seiner Werkstatt fertig geworden und ging nun in das Wohnhaus nebenan, wo seine Frau an der Kochstelle das Abendmahl bereitete. Halb in Gedanken versunken betrat Breda das Zimmer und ließ seinen Blick durch das Fenster hinaus schweifen. Plötzlich bemerkte er eine schwarz gekleidete Person, die hoch zu Ross vorbei eilte. Er sagte es seinem Weib, doch als sie sich umsah bog die Gestalt auch schon am Ende Straße ab. „Seltsam, um diese Zeit gelangt selten ein Fremder in unser Dorf, noch dazu in so großer Eile“, sprach sie zu ihrem Gemahlen. Kurze Zeit später erklangen die Alarmglocken in der kleinen Siedlung. Zwei Wachen bestiegen ihre Pferde und ritten scharf in Richtung des Waldes. Alsbald sammelte sich eine Menge neugieriger Dorfbewohner auf dem Marktplatz, unter ihnen war auch Breda. Abenteuerliche Vermutungen wurden kundgetan, die Dorfältesten gingen sogar von einer Sichtung feindlicher Truppen aus. Andere brachten den Vorfall mit der Sichtung des Fremden, dem auch Breda nicht entgangen war, in Zusammenhang. Dann eilte Bauer Fagund herbei und sollte die Lage aufklären: „Meine Tochter wurde entführt!“, rief er ganz aufgelöst der Menge zu. Man wandte sich ihm zu. Noch ganz außer Atem fuhr er fort: „Sie brachte unseren Schweinen eben einen Eimer Futter, als sie von einem maskierten schwarzen Reiter gepackt wurde. Sie schrie nach Hilfe, aber als ich am Stall ankam, war der Reiter schon nicht mehr zu sehen. Hat denn einer von euch erkennen können, wer dieses Ungeheuer war?“ Betretenes Schweigen und energisches Kopfschütteln waren die einzigen Antworten, die er erhielt. Welch armes unschuldiges Ding, dachte sich Breda. Fagunds Tochter Anna war erst 19 Jahre, sie hatte engelblondes Haar, blaue Augen und eine schlanke Figur. Kaum einer der jungen Männer begehrte sie nicht. Immer war sie höflich und freundlich und trotz des einfachen Lebens, das ihre Familie nun führte, strahlte ihr Gesicht vor guter Laune – Tag ein Tag aus. Niemand konnte irgendwas schlechtes über sie berichten. Doch ob man Anna oder wenigstens den Entführer je aufspüren konnte, lag im Ungewissen. Spät in der Nacht kehrten die Wachen zurück. Sie sind den Hufspuren bis zum Mirendil-Fluss gefolgt, doch dort verloren diese sich. Vermutlich ist der unbekannte Reiter lange dem knietiefen Flussbett gefolgt um seine Spuren zu verwischen, bis er irgendwann das Wasser verlassen hatte. Bauer Fagund nahm diese schlechte Nachricht jede Hoffnung. Er fürchtete seine Tochter nie wieder zu sehen. Unterdessen war der schwarze Reiter in seinem Versteck angekommen. Mitten im tiefsten Wald lag es. Dort befand sich ein kleiner See, er maß vielleicht vier mal sechs Meter, aber er war tief genug, dass kein Mann drin stehen konnte. Am Ufer brannte ein Lagerfeuer, das gespenstische Licht- und Schattenspiele an die Bäume warf. Ein Zelt aus dicken Ästen und Tierhäuten stand nahe bei. Als der Reiter mit seiner lebendigen Beute ankam, schlüpfte ein stämmiger Wikinger aus eben jenem Zelt. Und es war nicht irgendein Wikinger, denn er trug eine prächtige Rüstung und hatte vermutlich eine wichtige Stellung unter seinesgleichen. Anna wunderte sich, welche Geschäfte einen Normannen hierher führten. Der schwarze Reiter setzte ab und zerrte Anna mit sich. „Nein, lasst mich gehen!“ schrie sie unentwegt. Mithilfe des Wikingers wurde sie gefesselt. Ein grobes Seil band ihre zierlichen Füße aneinander, ein weiteres fesselte ihre Hände streng zusammen, dann legte man sie auf den Bauch und verband ihre Fußfesseln mit den Handfesseln. „Was wollt ihr von mir?“ fragte Anna mit Tränen in den Augen. Der Wikinger erzählte dem Maskierten etwas in seiner nordischen Sprache. Dieser zog sein Tuch, was sein Gesicht bedeckte, herunter, so dass die Entführte sein Gesichtsah. Anna konnte es glauben, aber sie kannte ihren Entführer. Einst ein ehrenhafter Soldat, verriet er vor vielen Jahren ihr Königreich und lebte fortan als Söldner. Anna sah ihn oft, als sie noch in der Burg wohnte. Damals war ihr Vater ein wohlhabender Schneider und besaß eine große Werkstatt in der Burg, wo ihn Anna schon von Kindesbeinen an gerne bei der Arbeit half. Um präzise zu sein, arbeitete ihr Vater als königlicher Schneider, bis er eines Tages ein Festgewand des Königs nicht rechtzeitig fertig stellen konnte, was den König sehr erboste. Und so veranlasste er, dass Fagund in diesem Königreich nie mehr den Beruf des Schneiders ausüben durfte. Der Söldner stellte sich vor. „Ich bin Tugord, dieser Mann ist Henrik Swanson, er spricht wenig von unserer Sprache, ich aber spreche seine gut genug für unsere Zwecke. Sein König plant einen Raubzug gegen einige Königreiche, wozu auch dieses gehören soll. Henrik wurde mit seinen tapfersten Leuten von ihm entsandt um Schwachstellen in der Verteidigung jener Königreiche zu finden. Nun vernahm ich, dass ihr einst auf Burg Higstone lebtet. Und als Gehilfin des königlichen Schneiders, wart ihr gewiss oft in den Räumen des Königs und dürftet so manch Geheimnis erfahren haben.“ – „Niemals werde ich irgendwas verraten!“ sprach Anna mit wackerem Herze. „Das werden wir morgen sehen!“ Ihr Entführer nahm sein schwarzes Tuch, faltete es zusammen und steckte es Anna in den Mund. Darüber band er ein weiteres Tuch und verknotete es hinter ihrem Kopf. Anna hmpfte wütend in ihren Knebel. „Schlaft gut.“ Mit diesem Worten gingen beide ins Zelt und legten sich zur Ruhe. Anna unterdessen wimmerte und weinte noch lange bis auch sie, erschöpft durch das Erlebte, einschlief.
Quelle: http://derbdsmblog.files.wordpress.com