Ich bin gerade über einen Artikel auf Tagesschau.de gestolpert in dem es darum ging, dass immer mehr Niederländer den Holocaust infrage stellen. Dort hiess es, dass ein junger Mann der vor einem Mahnmahl interviewt wurde gesagt habe, dass Ihn das alles nicht interessiert, er in der Schule darüber schon viel zu viel habe lernen müssen und dass das Thema Ihm zu präsent in der Gesellschaft sei.
Ausserdem wurde in dem Artikel über eine Studie berichtet, nach der 12 % der Niederländer an der offiziellen Geschichtsschreibung in Sachen Holocaust zweifeln, bei den unter 40-jährigen seien es fast 25 % gewesen.
Laut dem Artikel und einem Experten, der darin zu Wort kommt, wäre das auf eine Mischung aus “alles schon so lange her” und “Filterblasen im Internet” zurückzuführen.
Als Reaktion darauf, woll man nun jüdisches Leben in den Niederlanden “sichtbarer” machen. Wie auch immer das gehen soll. Wenn das bedeutet, weniger “Hinterhof-Synagogen” und mehr “Prunkbauten” in der Innenstadt, warum nicht. Könnte helfen…
Ich hab mich beim lesen des Artikels an meine eigene Schulzeit zurück erinnern müssen. Ich weiss nicht mehr ob es direkt in der Klasse 5, also nach dem Wechsel von der Grund- in die Gesamtschule war oder ein Jahr später, dass wir das Thema drittes Reich, 2. Weltkrieg, Holocaust und das ganze Zeugs zum ersten mal durchgenommen habe. Ab da, so habe Ich es in der Rückschau in Erinnerung, haben wir diesen Themenkomplex jedes Jahr mindestens einmal in Geschichte und oft sogar noch ein zweites mal im Jahr im Religions- bzw. später dann Ethikunterricht durchgenommen.
Religion / Ethik, das war eh so ein sinnlos-Unterricht. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir jahrelang erst in der weiterführenden Schule und dann später auch in der Berufsschule bei meiner Kochausbildung (wozu man in einer Berufsschule wertvolle Unterrichtszeit mit Religion verschwenden muss leuchtet mir bis heute nicht ein) immer abgestimmt haben, was wir denn “lernen” wollen. Zur Wahl stand dann zu 90 % immer “Aids” und “Irgendwas mit Hitler”, wobei letzteres in der überwiegenden Anzahl der Abstimmungen gewonnen hat.
Irgendwann, so hatte Ich das Gefühl, hatte man dann in der Schule mit so einer “das ist alles ganz, ganz schlimm gewesen, das darf nie wieder passieren und deswegen prügeln wir euch das Jahr für Jahr in die Köpfe rein”-Didaktik genau das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich wollte. Das Thema langweilte die Schüler, sie schalteten ab (Paradoxerweise obwohl sie es selbst gewählt haben. Hinter die Logik bin Ich leider bis heute nicht gekommen).
Das meiste interessante zu den Jahren 1930 – 1950 habe Ich nach der Schulzeit von meinem “Privatlehrer” Dr. Guido Knopp gelernt, denn das Problem war, dass man das Thema nicht von vielen Seiten betrachtete, sondern jedes Jahr von der selben (wobei “das Thema von einer anderen Seite betrachten” natürlich nicht bedeutet ob man mal hätte erörtern können ob Juden vergasen nicht doch irgendwie ne coole Idee ist! Damit mir hier keiner falsche Unterstellungen machen kann! Ich meinte damit eher, dass einem das irgendwie vorkam wie bei so einem Geschichtunterrichts-Bingo mit Jahr für Jahr den selben Buzzwords: KZ, 6 Millionen, Hitler, …). Das kam einem irgendwann vor wie als wenn man jedes Jahr den Dreisatz neu erklärt bekommen würde, obwohl man Ihn schon kann.
Ich kann mich erinnern, dass wir den ersten Weltkrieg und die Kaiserzeit nur ein mal ganz kurz für wenige Wochen durchgenommen haben in Geschichte. Auch die Wirtschaftswunderzeit hatten wir nur ein paar Wochen in Klasse 9 (oder sogar in Klasse 10, wo die Hauptschüler schon gar nicht mehr da waren). Russlandfeldzug, Hitler-Stalin-Pakt, Pazifikkrieg, Westfront, Landung in der Normandie, Olympische Spiele 1936 und deren Propagandatäuschung des Auslands die da betrieben wurde, Afrikakorps, Lebensborn, Compiegne 2.0 im Juni 1940, und so weiter und so fort…
All das hätte man doch auch mal ein wenig beleuchten können. Und dass in den KZ damals nicht nur Juden sondern auch Homosexuelle, “Asoziale”, politisch Verfolgte, Zigeuner, sogenannte Berufsverbrecher oder Zeugen Jehovas usw. interniert waren und umgebracht wurden, glaube Ich haben wir in der Schule auch nicht so richtig gelernt.
Ich hätte mir selbst damals, als es laut meiner Wahrnehmung noch nicht so viele Übergriffe auf Juden in der Öffentlichkeit und auf der Straße gab, als man davon heute in der Presse liest, gewünscht, das Thema Judenfeindlichkeit auch mal aus der modernen Perspektive zu betrachten. Mal zu beleuchten welche Entwicklung der Antisemitismus in der deutschen Nachkriegszeit hatte usw.
Leider kam da garnix…
Ich denke, dass es mittlerweile wichtiger denn je ist, anstatt den Kindern mit dem Themenkomplex “3. Reich” jedes Jahr auf den Sack zu gehen (Ich weiss nicht ob das heute immer noch so schlimm ist wie zu meiner Schulzeit Ende der 90er / Anfang der 2000er – obgleich Ich es natürlich für wichtig halte, dass das Thema weiterhin in den Schulen präsent sein muss!) Ihnen auch mal zu vermitteln, woher Antisemitismus überhaupt kommt, dass da auch die großen Kirchen in Teilen dran schuld sind dass sich jüdische Verschwörungstheorien etablieren und über Jahrhunderte halten konnten (schliesslich verboten Sie ihren Gläubigen ja jahrhundertelang Zinsen für Kredite zu nehmen, wodurch Juden einen Vorteil ziehen konnten indem Sie Kredite vermittelten.) und so weiter. Klischees benennen und dekonstruieren, Vorurteile erklären und entkräften, usw.
Ich weiss nicht, ob das mittlerweile alles so an deutschen Schulen gelehrt wird, Ich würde es mir zumindest wünschen.
Irgendwie hab Ich das Gefühl, wir kommen da seit 70 Jahren aus so einer endlosen “nie wieder”-Schleife nicht heraus und sehen nicht, wie wichtig es ist diesen Themenkomplex in den Schulen an die neue Zeit anzupassen…
All das trägt irgendwie nicht dazu bei, die Probleme vor die uns eine wieder zunehmende Judenfeindlichkeit und natürlich auch ein generell wieder erstarkender Rechtsradikalismus, Separatismus, Rechtskonservatismus, Geschichtsrevisionismus, eine zunehmende Migrantenfeindlichkeit usw. stellt, zu lösen…
Zum Schluss noch eine erschreckende Zahl aus dem Artikel: Laut einer Umfrage unter 16.000 europäischen Juden gaben 90 % (!) an, dass Ihnen zunehmender Antisemitismus Sorge bereite und 38 % (!) der Befragten „tragen sich mit dem Gedanken Auszuwandern, vorallem in nach Israel oder in die USA“.
Das sollte einem wirklich erheblich zu denken geben…