Das laufen machte Ihm Probleme. Der Nasse Boden und die schwere Last machten es Ihm nicht einfacher. Marianne war zwar nicht sonderlich dick, ein Leichtgewicht war Sie aber auch nicht. Außerdem musste er auch noch Ihr Marschgepäck mit sich tragen.
Es setzte wieder ein leichter Nieselregen ein. Typisch Herbst eben.
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Nach einer halben Stunde war er angekommen. Vorsichtig setzte er Marianne ab und legte sie auf den Boden. Er nahm den Schlüssel aus der Tasche und zog einige Hecken zur Seite. Dahinter versteckte sich eine schwere gusseiserne Türe in dunkelgrünem Lack. Sie öffnete sich mit einem leichten knarzen. Nachdem er Marianne nach drinnen getragen hatte und das Licht eingeschaltete hatte verschloss er die Türe wieder.
Drinnen sah man einen Gang, etwa zehn Meter lang. Er trug Sie in einen kleinen Raum mit schummrigem Licht. Er war aus Sandstein gebaut und relativ feucht. In der Mitte des Raumes konnte man die Reste eines Lagerfeuers erkennen. Hoch droben in der Decke war ein Rauchabzug. Der kreisrunde Raum maß etwa 5 m im Durchmesser und war in der Mitte etwa 10 m hoch.
Er legte Sie auf eine der Liegen und legte Ihr ein schweres gusseisernes Fußeisen an das mit einer dicken Kette am Boden befestigt war. Das Narkotikum schien noch zu wirken. Sicherheitshalber setze er trotzdem seine Maske auf. Es war eine Sturmhaube der Bundeswehr die nur die Augen erblicken ließ.
Nachdem er das Feuer in der Mitte des Raumes wieder entfacht hatte erwärmte er sich eine Dose Bohnen und begann zu Essen. Währenddessen wurde Marianne wach. Ihr Kopf war schwer und brummte. Sie versuchte sich zu erinnern und zu orientieren, was Ihr beides nicht gelang. Nachdem Sie sich aufgerichtet hatte bemerkte Sie die schwere Fessel an Ihrem Fuß und versuchte sie zu lösen.
„Lass es. Das schaffst du nicht“ kam es aus einer dunklen Ecke.
Marianne erschrak und schaute sich um.
„Wer sind Sie? Wo bin Ich hier?“
„Keine Angst, du bist in Sicherheit. Hier wird dich niemand finden“
„Was soll das hier, was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich hier raus!“
„Nur mal langsam, so schnell kommst du hier nicht weg. Immerhin habe Ich noch etwas vor mit Dir!“
Marianne spürte Angst in sich aufsteigen. Ein Gefühl beklemmender Enge machte sich in Ihrer Brust breit dass Ihr fast die Luft zum Atmen nahm.
Sie rieb sich die Augen und kroch sitzend zurück bis Sie Die Wand im Rücken spürte. Wo war Sie, was war hier los, schoss es Ihr durch den Kopf. Wer war dieser Kerl, was wollte er von Ihr?
„Wer sind Sie, was wollen Sie?“
„So eine hübsche Frau und so viele Fragen…“
„Was wollen Sie! Lassen sie mich frei“
Marianne konnte beobachten Wie Ihr Entführer zu Essen begann. Mittlerweile kam Ihr das alles sonderbar surreal vor, träumte Sie oder wachte Sie? Was war passiert. Das letzte an das Sie sich erinnerte war dass sie wandern war und auf einmal einen Blackout hatte. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern. Wie war Sie hier hergekommen? Wer war der Kerl?
Sie tastete mit Ihrer Hand an Ihre Fußfessel, das Eisen schnitt Ihr ins Fleisch. Das beklemmende Gefühl in der Brust wurde stärker. Sie wusste nicht was Sie davon halten sollte.
Marianne härte Schritte und sah Ihren Entführer auf Sie zukommen. Panik stieg in Ihr auf. Er griff in seine Hosentasche und nahm ein paar Handschellen heraus. Er ergriff unter massivem Wiederstand Ihre Handgelenke und fesselte Sie mit den Handschellen. Danach setzte er Ihr eine Schlafmaske auf und legte auch an Ihren Fußgelenken unter Zuhilfenahme aller seiner Kraft Fußschellen an. Nachdem er Ihr das Fußeisen abgenommen hatte trug er Sie in einen Nebenraum wo er Sie auf einen Stuhl setzte. Mehrere Riemen spannte er um Ihren Oberkörper und um Ihre Beine. Er ergötzte Sich an Ihrem schweren Atem. Akribisch ging er vor bis er Marianne endgültig an dem schweren Eichenmöbel gebändigt hatte. Kalter Schweiß lag Ihr auf der Stirn.
Nachdem er fertig war ging er zu einem Tisch in der Ecke und nestelte an einem CD-Player herum. Er legte vorsichtig einen Tonträger ein und stellte auf Wiedergabe. Die CD begann zu summen und man vernahm seine Stimme immer und immer wieder dasselbe Wort wiederholen:
„Warum?“, fortwährend.
Mariannes Atem wurde schwerer und langsamer. Angegurtet und völlig orientierungslos fühlte sie sich im totalen Delirium. Gedanken schossen Ihr durch den Kopf. Sie dachte an Ihre Eltern, die Schulzeit und Ihren ersten Freund. Surreale Gedächtnisfetzen waberten durch Ihren Verstand.
Ihre Kehle war trocken und ausgedorrt. Die Gurte hinderten Sie am Durchatmen. Nach und nach verlor sie das komplette Zeitgefühl.
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Nach einer Weile hörte Sie Schritte näherkommen.
„Hey, was soll das? Lassen Sie mich frei! Ich will hier raus!“
„Wenn du so schreist wird das aber nichts.“
„Was soll das? Was wollen Sie von mir? Ich habe doch niemandem was getan!“
Marianne merkte sein Näherkommen, Meter für Meter bis sie seinen Atem riechen konnte. Sie versuchte sich zur Seite zu drehen doch eine schwere Hand hinderte Sie daran. Schreiend wand Sie sich in Ihren Fesseln.
„Solange du deine Fehler nicht einsiehst wird das wohl nichts. Darüber solltest du mal nachdenken.“
„Was für Fehler, Ich habe niemandem etwas getan. Was wollen Sie von mir?“
Er ließ von Ihr ab und setzte sich neben Sie.
„Weißt du, jeder macht einmal einen Fehler. Das ist menschlich. Wir verletzen andere Menschen ohne Groß darüber nachzudenken. Wir treiben Ihnen Pfähle ins Herz ohne Groß darüber nachzudenken. Erklimmen auf Ihren Schultern die Karriereleiter um sie dann an unseren Stiefeln lecken zu lassen. Doch wahre Größe erkennt man nur dann wenn man auch zu seinen Fehlern und Verfehlungen steht.“
„Was soll das. Ich habe niemandem etwas getan!“
„Genau darüber solltest Du einmal nachdenken. Zeit haben wir ha genug…“
Er verließ den Raum und verschloss die Tür hinter sich. Immer und immer wiederholte der O-Ton diese monotone Stimme. „warum, warum, warum…“
Es brachte sie schier zur Verzweiflung. Nach dem schreien kamen die Tränen und das geistige abdriften in eine Scheinwelt aus zusammenhanglosen Bilderfetzen glücklicherer Tage. Sie erinnerte Sich an Ihre Mutter, oder den ersten Schultag. Die Beklemmung wurde schlimmer. Sie spürte wie sich die psychische Schlinge um Ihren Hals immer enger zog.
Die Zeit verrann Minute für Minute ohne dass man es merkte.
Nach einer Weile kam Ihr Peiniger zurück in den Raum und befreite Sie von Ihrem Martyrium. Er legte Sie wieder auf das Bett und befestigte sie Fußfessel an Ihrem Bein. Sie konnte sich erst einmal ausruhen und ein wenig Kraft sammeln für den nächsten Tag.
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Marianne sah einen fahlen Lichtschein durch die Decke schimmern als Sie wach wurde. Sie öffnete Ihre Augen und sah sich um. Sie war alleine.
Bemüht keinen Lärm zu machen stand Sie auf und bewegte sich ein wenig, soweit es Ihre Fesselung zuließ. Ihr Bein hatte sich mittlerweile tief rot verfärbt und wundgescheuert. Auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett fand Sie einen Teller mit einem Stück Brot und einer Großen Flasche Wasser. Sie nahm sofort einen Schluck und löschte Ihren höllischen Durst.
Marianne fragte Sich ob Sie auch wirklich alleine sei oder man Sie vielleicht beobachtete. Die Situation begann immer mehr an Ihren Nerven zu zerren. Normalerweise war Sie eher eine Kämpfernatur die sich so leicht nicht auf der Nase herumtanzen ließ, doch in dieser Ausnahmesituation galten keine Regeln und keine Konventionen.
Ein Topf unter dem Bett diente als behelfsmäßige Toilette, waschen konnte Sie sich nirgends. Ihre Haare Klebten, die Kleidung schmutzig und voller Schweiß. mit dem Wasser in der Flasche tupfte Sie sich das Gesicht ab. Das kühle Wasser tat gut auf der Haut. Mittlerweile war Sie auch soweit wieder etwas essen zu können.
Marianne konnte es immer noch nicht fassen in was Sie da hinein geraten ist. Warum? Der Satz schoss Ihr immer wieder durch den Kopf.
Ja, warum? Warum war Sie hier? Warum tut einem jemand so was an? Warum warum? Was wollte man Ihr damit sagen?
Nachdem sie etwas Essen zu sich genommen hatte nutzte Sie die Gelegenheit sich ein wenig umzusehen. Sie war in einem Kuppelförmigen Raum der in etwa 10 m im Durchmesser haben mochte und in etwa 5 m hoch war. Ganz oben in der Kuppel war ein Loch von dem ein wenig Licht hereinkam. Die Wände waren aus Sandstein gemauert, grob zugehauene Blöcke mit einer Kantenlänge von 50 x 20 cm. in dem Raum waren ein weiteres Bett, ein Tisch, Stühle und ein kleiner Schrank. Mehr konnte Sie im Moment nicht erkennen. Anscheinend war das ein alter Bunker hier in der Nähe von Kaiserslautern. So recht konnte Sie sich nicht daran erinnern wo sie vorher genau gewesen ist.
Auf dem Tisch entdeckte Sie ein Buch. Mit Hilfe eines kleinen Astes der auf der Erde lag gelang es Ihr es vom Tisch herunter zu holen und zu sich zu ziehen. J. D. Salinger „Der Fänger im Roggen“. Sie musste kurz lachen. Wie passend. Ausgerechnet ein Buch das Mark David Chapman, der Mörder John Lennons, am Tag der Tat bei sich trug und angab, sich mit Holden Caulfield zu identifizieren, oder das wahrscheinlich auch vom Doppelmörder Charles Manson gelesen wurde genauso wie vom Reagan-Attentäter John Hinckley und dem Terrorist Theodore Kaczynski. Marianne legte es auf Ihren Nachttisch.
Viel gab es hier sonst nicht zu entdecken. Den Raum in dem Sie vorhin war konnte Sie nicht entdecken. Anscheinend war dieser nicht hier sondern in dem Gang der nach draußen führte.
Frustriert setzte Sie sich auf das Bett und hing Ihren Gedanken nach. Noch immer konnte Sie sich keinen Reim darauf machen was hier passierte. Ihre grauen Zellen begannen zu arbeiten. Sondierten Personen aus die vielleicht dahinter stecken konnten. Sie dachte an Ihren Freund Peter, Ihre Mutter und Ihren Vater. An die eine oder andere ehemalige Schulfreundin.
Vielleicht steckte jemand dahinter dessen Gerichtsverfahren sie als Anwältin vielleicht vermasselt hatte. Wer käme da in Frage, wer ist inzwischen raus aus dem Kittchen? Da fielen Ihr schon einige ein. Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Entführer, die ganze Bandbreite hatte sie schon neben sich auf der Anklagebank sitzen. Einige Hop einige Top, wie das ebenso ist vor Gericht. Manchmal hatte ein Angeklagter Glück manchmal nicht.
Eines hatte sich Marianne vom Anfang Ihrer Karriere an geschworen. Das erste was Sie einem neuen Mandanten in einem Strafprozess beibrachte war: „Ich will niemals und unter keinen Umständen von Ihnen hören ob Sie die Tat begangen haben oder nicht, Ich will nur willen ob wir auf schuldig oder nicht schuldig verteidigen.“ Nur so konnte Sie Ihre Verteidigungsstrategie am besten aufbauen. Unvoreingenommen und niemals wissend ob der Angeklagte die Tat begangen hatte oder nicht. Das Gericht ist eine große Bühne auf der langfristig nur der in die nächste Spielsaison kommt der sich durchschlug und am Ende die meisten Freisprüche vorzuweisen hatte.
Wenn Sie so zurückdachte in die letzten 35 Lebensjahre hinein. Schule, Abi mit 18, danach direkt die 10 Jahre Studium in Jura und das Referendariat, mit 30 durch Ihre überzeugende Art und etwas Vitamin in B Ihres Juraprofessors direkt in die Kanzlei gekommen und dort seit 5 Jahren auf dem Erfolgskurs. Irgendwie ging vieles in Ihrem Leben viel zu glatt. Einser Abi, 1a Studium und und und…
Klar, Ihre Beziehung war gerade in die Brüche gegangen, doch meine Güte, das passiert mittlerweile jedem Zweiten hier einmal im Jahr. Diesen Wermutstropfen konnte Sie verschmerzen.
In Ermangelung einer Alternative und wahrscheinlich auch aus kurzfristiger Resignation heraus legte Sie sich in das Bett und begann zu lesen. Wie lange mochte das her sein dass sie „Den Fänger im Roggen“ das letzte Mal gelesen hatte? 20 Jahre? In etwa. Doch auch Holden Caulfield verschaffte keine Abwechslung. Wie konnte man auch hier auf andere Gedanken kommen? Unmöglich.
Plötzlich hörte Sie ein Geräusch und zuckte zusammen. Die schwere Eisentür am Ende des Ausgangs wurde geöffnet. Ein wenig Licht kam herein. Nach einigen Sekunden erschien der Entführer im Raum. Marianne zuckte zusammen und kroch auf Ihrem Bett an die Wand.
Er betrat den Raum mit einem Rucksack in der Hand den Er auf den Stuhl stellte. Nachdem das Licht angeschaltet war konnte Sie Ihn besser sehen. Panik machte sich in Ihrer Brust breit. Der letzte Tag steckte Ihr noch in den Knochen. Das schier endlose Martyrium, fast einer Folter gleichzusetzen. Nachdem Er einige Sachen aus dem Rucksack in einem kleinen regal verstaut hatte setzte Er sich an den Tisch und öffnete eine Dose die er auf einem kleinen Gaskocher erhitzte. Der Duft von Fleisch waberte durch die Luft. Irgendwie schien er Marianne gänzlich zu ignorieren. Fast so als wäre sie Luft. Nach einer Weile nahm er die Dose vom Feuer und stellte sie auf den Nachttisch an dem andern Bett. Nachdem er einen Paravent davorgestellt hatte konnte Marianne erkennen dass er anscheinend die Maske abzog und zu essen begann. Unter keinen Umständen wollte Sie nun etwas falsch machen. Wer weiß wie Er sonst reagieren würde.
Nach einer Weile stieg er auf und verließ den Raum. Marianne konnte hören wie er im Nebenraum etwas mit einem Hammer bearbeitete. Zahllose Gedanken schossen Ihr durch den Kopf. Die wildesten Fantasien und schlimmsten Befürchtungen.
Nach einer Weile kam er zurück und legte sich in sein Bett. Kurze Zeit später hörte Sie sin schnarchen. Und nun. Schlafen? Wenn überhaupt. Die letzte Nacht hatte Sie anscheinend nur durchgehalten weil Er Ihr ein Narkotikum gespritzt hatte. „Arzt?“ schoss es Ihr durch den Kopf. Sie konnte sich beileibe nicht mehr erinnern einmal einen Arzt verteidigt zu haben.
Das Nachdenken stimmte Sie müde. So sehr sich Marianne auch bemühte wach zu bleiben irgendwann schlief sie ein und versank im festen Tiefschlaf.